Evangelische Akademie Tutzing: Frau Grande, der Freundeskreis der Akademie feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag. Er ist zwei Jahre jünger als die Akademie, wurde im Jahr 1949 gegründet. Welche Überlegungen gingen dieser Gründung voraus? Und wer kam eigentlich auf die Idee?
Brigitte Grande: Der Freundeskreis entstand durch Begeisterung für die Demokratie! Bürgerinnen und Bürger, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit die ersten Tagungen hier im Schloss erlebten, waren von den Begegnungen und dem offenen und inspirierenden Meinungsaustausch begeistert. Nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur wussten sie genau: Eine lebendige Demokratie braucht Foren für Gespräche und Meinungsbildung auf Basis von unzensierten Sachinformationen. Also haben diese begeisterten Tutzinger Tagungsteilnehmer in den ersten Jahren der Bundesrepublik in ihren Heimatorten Freundeskreise gebildet und dort nach dem Vorbild der Akademie zu Tagungen und Vortragsabenden eingeladen. 1949 schlossen sich diese örtlichen Freundeskreise zum „Freundeskreis Evangelische Akademie Tutzing e.V.“ zusammen. Seitdem sind 75 Jahre vergangen, in der sich immer neue Generationen von der Bildungsidee der Evangelischen Akademie begeistern ließen.
Inwieweit haben sich die Aufgaben des Freundeskreises in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Was sind heute die zentralen Aufgaben?
Der Freundeskreis möchte ein Ort demokratischer Beteiligung und Ermutigung sein. Deshalb laden wir zu Themen aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Kirche ein. Wir haben Freude an Kultur und Bildung und geben diese Freude in unseren Veranstaltungen weiter. Wir möchten Entwicklungen mitdiskutieren und mitgestalten und auch andere dazu ermutigen: Diese Aufgabe hat sich nie verändert. Sie unterscheidet den Freundeskreis von den vielen bürgerschaftlichen getragenen Fördervereinen in unserem Land und macht ihn so besonders: Wir sind keine Geldsammler. Nur in der Not der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte der Freundeskreis die Tagungsarbeit im Schloss auch durch Sachspenden unterstützt. Aber mit dem zunehmenden Wohlstand in der Bundesrepublik wurden Besteck- und Wäschespenden der Freundeskreismitglieder an die Akademie schnell durch engagierte und beherzte Bildungsarbeit in den Dependancen des Freundeskreises in bayerischen Städten ersetzt. Und das ist die zentrale Aufgabe geblieben. Einer meiner Vorgänger im Amt des Vorsitzenden des Freundeskreises hat es einmal sehr nett formuliert: „Der Freundeskreis sorgt dafür, dass der Geist von Tutzing auch fernab von Tutzing wirken kann.“
Etwa 1000 Mitglieder hat der Freundeskreis der Akademie heute in ganz Bayern. Die Leitenden vor Ort sind alles Menschen, die diese Tätigkeit im Ehrenamt ausüben – wie Sie als Vorsitzende auch. Aus welchen Gründen haben Sie sich für dieses Ehrenamt entschieden? Hatten Sie vorher schon Ehrenämter inne?
Ja, es waren schon einige Ehrenämter. Alle hatten mit Bildung und Kultur zu tun. Ich bin fest davon überzeugt: Kultur und Bildung machen Menschen nicht nur klüger, sondern auch stärker und beherzter. Weil Kulturerlebnisse Lebensfreude schenken und Zusammenhalt stiften. Weil Wissensvermittlung Orientierung schafft und weil gemeinsames Nachdenken und gesellschaftliche Solidarität gegen die Wirren und Ängste unserer Zeit helfen.
Wir brauchen deshalb Orte zum Zuhören, Nachdenken und Meinungen bilden. Angesichts Dauerkrisen, Kriegen, Erdüberhitzung, Zeitenwende und Vertrauenskrise der Medien umso mehr! Wir brauchen Räume, um Wissen zu vermitteln und Lösungen zu entdecken. Wir müssen Orte und Gelegenheiten schaffen, wo wir Ermutigung erleben und Hoffnung schöpfen. Das halte ich für immens wichtig und deshalb tue ich das mit großer Überzeugung. Es ist ein Glücksfall für mich, dass ich nun seit zehn Jahren im Freundeskreis der Akademie als Vorsitzende wirken darf und hier mit Menschen zusammenkomme, die genauso denken.
Kämpfen Sie auch mit Nachwuchssorgen?
Ja und nein. Dass langfristiges Engagement in Vereinen, Gewerkschaften oder Kirchen bei den nachwachsenden Generationen nachlässt, ist ja ein gesamtgesellschaftlicher Trend. Auch bei uns im Freundeskreis führt er dazu, dass wir altersbedingt mehr Mitglieder verlieren, als neue Mitglieder zu uns kommen. Langjährige, erfahrene Leitungsteams, die ihre Verantwortung altersbedingt abgeben möchten, tun sich in manchen örtlichen Freundeskreisen schwer, jüngere Nachfolgerinnen und Nachfolger zu finden. Andererseits sind wir sehr gut durch Corona gekommen, wir konnten unsere Bildungsarbeit nach der Pandemie quer durch Bayern unbeirrt fortsetzen. Die Leidenschaft für unsere Aufgabe ist bei den Mitgliedern des Freundeskreises ungebrochen.
Immer wieder wird beim Thema Demokratie die Rolle des Dialogs hervorgehoben. Zuletzt auch bei der Kanzelrede des Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichts. Aber auch der Bildung kommt eine wichtige Rolle zu, wenn unsere Gesellschaft demokratiefähig bleiben will – weit über unsere schulische Bildung hinaus. Welche Rolle spielt hier die Zivilgesellschaft?
Die großen Probleme unserer Zeit werden wir nur mit informierten, verständigen und solidarischen Bürgerinnen und Bürgern lösen – die notwendige ökologische Transformation ist dafür das beste Beispiel. Der Bildung kommt deshalb eine immens wichtige Aufgabe zu. Unser Bildungssystem ist aber selbst unter Druck – durch Lehrermangel, Digitalisierung oder Ausbau der Ganztagsschule. Längst haben deshalb bürgerschaftliche Initiativen Bildungsaufgaben übernommen. Wie groß und bedeutend die Beiträge der Zivilgesellschaft im Bildungssektor bereits sind und ob in unserem Land bald gar nichts mehr ohne sie gehen wird, das kann ich Ihnen Mitte Mai solider beantworten…
… dann hat die große Jahrestagung des Freundeskreises stattgefunden. Sie wird sich vom 10.-12. Mai 2024 mit diesem Thema ausgiebig beschäftigen. Was erwartet die Gäste bei dieser Tagung?
Wir werden die Leistungen und die Bedeutung der Zivilgesellschaft in den Städten und Gemeinden unter die Lupe nehmen. Dazu haben wir Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik, aber auch viele Aktive aus der Zivilgesellschaft eingeladen, die mit uns auf die Bildungsbeiträge der Bürgerinnen und Bürger und die Rahmenbedingungen für dieses Engagement zu schauen. Wir wollen wissen, mit wem diese Aktiven kooperieren, was sie motiviert und was sie tatsächlich zur Bewältigung der Probleme im Bildungssektor beitragen. Jeder und jede ist dabei willkommen! Ich wünsche mir vor allem auch viele Verantwortliche aus der Kommunalpolitik als Tagungsgäste, denn sie können in ihren Kommunen dafür sorgen, dass zivilgesellschaftliches Engagement gelingen kann.
In die Planung zu dieser Tagung ist auch Ihr Mann eingebunden, der Politikwissenschaftler Edgar Grande, der ausgiebig zur Zivilgesellschaft geforscht hat. 2017 wurde er Gründungsdirektor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) für Sozialforschung, wo er bis zu seiner Emeritierung tätig war. Ist das Thema Zivilgesellschaft über die wissenschaftliche Ebene zu Ihnen gekommen oder gab es Erfahrungen in Ihrem Leben, die sie dazu gebracht haben, sich damit auseinanderzusetzen – und dafür einzusetzen?
Mein Mann und ich sind beide Politikwissenschafter. Wie Gesellschaft funktioniert, sich entwickelt und verändert, welche Konflikte eine Gesellschaft prägen – solche Fragen sind unser gemeinsames Thema. Wir haben aber verschiedene Rollen gewählt: Mein Mann arbeitet als Wissenschaftler über die Zivilgesellschaft und ich arbeite für die Zivilgesellschaft. Bei der nun anstehenden Tagung „Zivilgesellschaft macht Bildung“ wirken Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Ich freue mich, dass wir das Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung als wissenschaftliche Partner gewinnen konnten. Außerdem wirkt das Netzwerk Stiftungen und Bildung, eine große Allianz gemeinnütziger Bildungsorganisationen, mit. Beide Partner bieten beste Voraussetzungen für eine spannende Tagung – über die Zivilgesellschaft und für die Zivilgesellschaft.
Die Fragen stellte Dorothea Grass
HINWEIS:
Die Tagung „Zivilgesellschaft macht Bildung“ findet vom 10.-12. Mai 2024 statt. Es ist die Jahrestagung des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing. Jeder Interessierte ist willkommen! Alle Informationen zu Programm und Anmeldemodalitäten finden Sie hier: Zivilgesellschaft macht Bildung
Zur Person:
Brigitte Grande (M.A.) ist Kulturberaterin und Vorsitzende des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing. Sie leitet seit 2014 den Gesamtfreundeskreis und seit 2016 den örtlichen Freundeskreis der Evangelischen Akademie in Tutzing.
Publikationen:
„Die Zukunft der Zivilgesellschaft“
Schriftliche Dokumentation mit allen Beiträgen der Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing in Kooperation mit dem Freundeskreis Evangelische Akademie Tutzing e.V. und dem Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) für Sozialforschung, erschienen im Februar 2023.
„Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland- Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke“ von Brigitte Grande / Edgar Grande / Udo Hahn (Hg.)
„Brücken bauen, Spaltungen abschwächen“, Interview vom Juli 2021 |