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Neues aus dem Freundeskreis Literatur erleben – dank Bildungsstipendien!

Im Frühsommer ermöglichte der Freundeskreis zwei jungen Menschen durch Stipendien die Teilnahme an der Literaturtagung zur Verleihung des Marie-Luise-Kaschnitz-Preises an Anja Kampmann. In ihrem Bericht schildern sie den inspirierenden Austausch mit einer Autorin über ihr Werk – und wie sie das besondere Tagungskonzept der Akademie erlebt haben.

Um den Horizont gehen

Tagung anlässlich der Verleihung des Marie Luise Kaschnitz-Preises an Anja Kampmann

31.05-02.06.2024

Bildungsstipendien des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing

„ein klang wie / wir sind / noch da / hier / ein klang / aus einer frage geboren / aber deutlich / vertraut / ein klang / geht uns voraus“ (Anja Kampmann: Der Hund ist immer hungrig: rede)

Es ist der Klang der Autorin Anja Kampmann, der Preisträgerin des Marie-Luise-Kaschnitz-Preises 2024, der uns an einem verregneten Freitag Ende Mai nach Tutzing an den Starnberger See führt. Wir reisen dafür einmal quer durch das Land – durchqueren die norddeutschen Landschaften, die in vielfältiger Weise in den Gedichten der Lyrikerin einen Platz finden; denn: wir kommen beide von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und können durch ein Bildungsstipendium des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing an der Tagung zu und – ganz besonders – mit Anja Kampmann teilnehmen.

Es ist für uns beide das erste Mal, dass wir an einer Tagung teilnehmen. Dabei soll es „um den Horizont gehen den / Farbauftrag der Ferne das helle Knistern / der Flächen von Licht und die Verbreitung / des Lichts“. (Anja Kampmann: Proben von Stein und Licht: Versuch über das Meer) Bereits aus dem zitierten, titelgebenden Gedicht geht hervor, dass uns drei spannende Tage in denen Bild-, Klang- und Wortkunst miteinander verschmelzen, eine Verbindung eingehen, erwarten werden. So stehen zahlreiche Vorträge zu Themen wie Zeit(en), Erinnern, Landschaften – sowohl natürlichen als auch künstlich geschaffenen – und den Möglichkeiten, die Welt durch Literatur aus immer neuen Perspektiven zu erleben, auf dem Programm.

Wir bringen viele Fragen mit. Fragen, die sich auch die Redner*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Literaturwissenschaft, Literaturkritik und bildenden Kunst bereits im Vorfeld gestellt haben. Welche Spuren hinterlassen wir im Heute – einer von Unsicherheit und Krise geprägten Gegenwart? Welche Spuren der Vergangenheit lassen sich noch immer finden? Wer werden wir gewesen sein und vor allem: Was kann das Erzählen in dieser Unsicherheit leisten?

Als wir am Schloss der Akademie ankommen, sind wir zunächst beeindruckt von der besonderen Lage und den Räumlichkeiten, die in den nächsten Tagen von unseren Gedanken und Gesprächen gefüllt werden würden. Nachdem wir unsere Zimmer im Gästehaus bezogen haben, machen wir uns langsam auf den Weg zum gemeinsamen Abendessen im verglasten Restaurant, das uns das Gefühl gibt, mitten in der Natur zu sein – ein Thema, das sich fließend durch Anja Kampmanns Prosa und Lyrik zieht. Die Natur wird zum Spiegel der Zeit. Genau damit, das heißt mit den unterschiedlichen, sich überlagernder Zeitebenen in den Gedichten, beschäftige ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit – einer der Gründe, warum ich mit großer Freude und Begeisterung an der Tagung teilnehme. Wir durften Anja Kampmann bereits im Rahmen der Liliencron-Dozentur 2024 unserer Universität kurz kennenlernen und freuen uns daher umso mehr, jeweils ein Bildungsstipendium erhalten zu haben.
Während sich das Restaurant langsam füllt, beginnen die ersten Gespräche. Gespräche, die noch lange nach der Tagung in unseren Gedanken mitschwingen werden. Es sind die Gespräche, die unterschiedlichen Stimmen, die Anja Kampmann durch ihre Texte zusammenbringt, die das Wochenende zu etwas ganz Besonderem machen.

„sagen wir Steine, kleinere Tänzer / unentwirrbar / das Mosaik der Zeit oder / sagen wir Muster, die ein Schwarm Saatkrähen / an den Himmel wirft“ (Anja Kampmann: Proben von Stein und Licht: (für I.)

Die Tagung wird in dieser Weise zu einem kunstvollen Mosaik. Ein Mosaik, das von jeder und jedem Teilnehmenden geprägt sein wird. Jede*r Einzelne bringt eine eigene Farbe, einen eigenen Klang mit in den gemeinsamen Austausch und wird in dieser Weise ein wichtiger Teil der Veranstaltung.
Über die unterschiedlichen Zugänge zu den Texten, dem persönlichen Erleben und dem sich selbst in einer gewissen Weise ‚Hineinschreiben‘ in die Geschichten, die Landschaften der Autorin, entstehen bereits am ersten Abend zahlreiche Gespräche. Bevor diese in den Salons des Schlosses vertieft werden können, dürfen wir jedoch ganz besonderen Klängen folgen – ein kunstvolles Zusammenspiel von Kontrabassklängen der Musikerin Sophia Scheifler und einer Auswahl gelesener Gedichte von Anja Kampmann selbst. Wir tauchen ein in eine andere Welt, die doch sogleich die unsere spiegelt.
Unsere Erfahrungen, unserer Erinnerungen prägen unseren Blick auf die Welt. In dieser Weise füllen wir die kleinen Leerstellen, die Zwischenräume in den Texten. Anja Kampmann betonte in einem Gespräch einmal, die Wichtigkeit, von einer einzelnen Lesart der Gedichte abzusehen und vielmehr zu betonen, dass es genauso viele Lesarten wie Lesende gebe. Die Klänge des Abends begleiten uns in die Salons des Schlosses, in denen erste Gespräche vertieft werden und neue Begegnungen stattfinden.

Nachdem der erste Tag ein Ankommen, ein Kennenlernen ist, ist der zweite Tag ein tieferes Eintauchen in die Texte der Lyrik- und Prosaautorin. Wir folgen den verschiedenen Perspektiven von u.a. Dr. Maike Weißpflug, Hauke Hückstädt und Doktorandin Julia Klar, die gegenwärtig an ihrer Dissertation zu Formen des Klimawandels in der Gegenwartsliteratur – so auch im Werk Anja Kampmanns – schreibt.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen erhalten wir einen Einblick in den Kunstband Fischdiebe, der neben einer Vielzahl an Posa-Miniaturen der Autorin zudem fünf Kaltnadelradierungen des Bildkünstlers Frank Berendt enthält. Da die Ausgabe lediglich 99 Exemplare enthält, gibt der Vortrag einzigartige Einblicke in den Entstehensprozess sowie das Zusammenwirken von Bild und Text.

Nach weiteren Vorträgen folgt am späten Nachmittag eines unserer persönlichen Highlights des Wochenendes: das Gespräch zwischen den drei mehrfach ausgezeichneten Autor*innen Anja Kampmann, Iris Wolff und Simon Strauss, die der Frage, was Erzählen leisten kann, in einem inspirierenden Austausch, folgen. Alle drei betonen dabei die Sehnsucht und das Bedürfnis unserer Zeit nach Geschichten, in denen die Sprache zu einer Suchbewegung wird.

Nachdem der nächste Morgen, der zugleich bereits der letzte gemeinsam verbrachte sein wird, nach dem Frühstück mit einem Gottesdienst in der Schlosskapelle beginnen konnte, finden sich langsam alle Tagungsteilnehmer*innen sowie weitere zum Festakt angereiste Literaturinteressierte im Musiksaal des Schlosses ein, um Anja Kampmann unter musikalischer Begleitung von Sophia Scheifler und Michael Fehr offiziell den Marie-Luise-Kaschnitz-Preis 2024 verleihen zu können. Dieses Mal dürfen wir aus der Perspektive der Laudatorin und Literaturkritikerin Dr. Miriam Zeh auf die Texte Anja Kampmanns blicken und erfahren vom ‚Risiko der Weite‘ in der Welt und im Werk der Preisträgerin – ein Risiko, mit dem sie uns laut Miriam Zeh jedoch nie allein lässt.

In ihrer Dankesrede am Sonntag betont Anja Kampmann zu Beginn: „Es war immer ein Traum von mir, einen schönen Ort zu haben, wohin ich Freunde, Weggefährten, Gleichgesinnte einladen könnte. Euch zusammenzubringen. Jetzt ist es ein Schloss geworden!“ (Anja Kampmann: Ein eigenes Alphabet)

Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich beim Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing für den Erhalt der Bildungsstipendien und die damit verbundene Möglichkeit für uns, an der Tagung teilnehmen zu können, bedanken.

Jakob Cieslinski und Annika Petersen