Neues aus dem Freundeskreis Werden und Vergehen einmal ganz anders….
Der November erinnert uns auf eindrückliche Weise an das Vergehen des Lebens. Bei einem besonderen Besuch der pathologischen Sammlung der Klinik München-Schwabing wurde dem Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing in München bewusst, wie eng Leben und Tod verbunden sind.
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Das Gedicht von Reiner Maria Rilke aus dem Jahr 1902 beschreibt das Vergehen der Natur mitsamt den Gefühlen, die sich im November einstellen. Die eigene Vergänglichkeit wird uns an Allerheiligen und am Ewigkeitssonntag eindrücklich vor Augen geführt. In besonderer Weise erlebte der Freundeskreis beim Besuch der historisch-pathologischen Sammlung der Klinik München Schwabing, wie Tod und Leben zusammenhängen – und wie die Verstorbenen den Lebenden dienen.
Es handelt sich in der von uns besuchten Sammlung um eine der besser erhaltenen historischen pathologisch-anatomischen Präparatesammlungen im deutschsprachigen Raum. Eindrücklich stehen hinter der technischen und kundigen Beschreibung der Operations- und Obduktionspräparate das Leben und die Biografien der Verstorbenen. Dem Oberpräparator i.R. Alfred Riepertinger gelingt es mit seinen Beschreibungen, würdevoll den Abstand zu den Verstorbenen zu wahren und sie nicht zu bloßen medizinischen Objekten zu machen. Aus diesem Grund ist es auch verboten, die Präparate zu fotografieren.
Riepertinger ist damit der Tradition des ersten Leiters des Pathologischen Instituts, Prof. Siegfried Oberndorfer (1910-1933) verpflichtet, der es so ausdrückte: „Wir verneigen uns vor allen Verstorbenen, die durch die ausgestellten Präparate in diesem Raum versammelt sind. Wir gedenken Ihrer in Dankbarkeit.“
München verdankt Prof. Siegfried Oberndorfer viel: Im Herbst 1933 verließ er, einer Einladung der Istanbuler Universität folgend, Deutschland, da das NS-Regime ihn am 1. April 1933 aus rassistischen Gründen aus dem Dienst im Krankenhaus München-Schwabing entließ. Bis zu seinem Tod blieb und publizierte er im türkischen Exil, wo er als ordentlicher Professor der Medizinischen Fakultät und Direktor am Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie in Istanbul wirkte und 1937 an das Institut für Krebsforschung versetzt wurde, wo er Wesentliches für die Onkologie in der Türkei beitrug. Oberndorfer starb 1944.
Der Gang durch eine pathologisch-anatomische Präparatesammlung, oder ein Gang über einen Friedhof, oder im Vorbeifahren erspähte brennende Kerzen auf Gräbern – Mahnungen des memento mori: „Bedenke, dass du sterben musst!“. Gerade diese Wochen des Novembers provozieren die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit und die Unverfügbarkeit des Lebens. Sie sind aber auch ein Zeichen des Trostes und der Hoffnung, wie es Rilke beschreibt:
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Stadtdekanin i.R. Barbara Kittelberger
Leiterin des Freundeskreises in München